Was hat James Watt, was Tesla nicht hat?

Die Genialität der Einfachheit. James Watt. Der Mann, der die Dampfmaschine verbessert hat und dabei versehentlich ein ganzes Zeitalter entfesselte. Heute ist sein Name vor allem mit einer elektrischen Einheit verbunden. Doch seine wahre Genialität lag nicht in der Thermodynamik, sondern im Marketing. Du glaubst mir nicht? Dann lass uns gemeinsam in eine Geschichte eintauchen, in der Pferde, Minenbesitzer und moderne Elektroautos mehr gemeinsam haben, als Du vielleicht denkst.

Watt’s Geistesblitz: Pferdestärke statt Kompressionsverhältnis

Als Watt seine verbesserte Dampfmaschine verkaufen wollte, war seine Zielgruppe – wenig überraschend – wenig begeistert von seinen Vorträgen über Zylinderdurchmesser, Dampfdrücke oder den thermischen Wirkungsgrad. Mineure wollten keine Physikstunden, sie wollten trockene Stollen und wirtschaftliche Vorteile.

Also erfand Watt kurzerhand die Pferdestärke. Eine Masseinheit, die jedem Bauern, Minenbesitzer oder Fuhrunternehmer sofort einleuchtete: "Diese Maschine ersetzt 25 Pferde." Punkt. Keine weiteren Fragen. Heute würde man sagen: Watt hat eine Customer Value Proposition geschaffen, die ihresgleichen sucht. Und nebenbei eine Einheit, die sich hartnäckig bis ins 21. Jahrhundert hält.

Von Watt zu Watts: Elektroautos und das Kommunikationsdilemma

Schnitt. 2025. Willkommen in der Ära der Elektromobilität. Fahrzeuge, die leise sind, emissionsfrei, mit Drehmomentwerten, die jedem Rennwagen Konkurrenz machen. Und dennoch: Viele Menschen zucken mit den Schultern, wenn sie ein Datenblatt mit 320 kW, 750 Nm oder 88 kWh lesen. Klingt alles irgendwie eindrucksvoll. Aber was bedeutet das konkret für mich, wenn ich nur zur Arbeit fahren will?

Hier beginnt das Problem: Die EV-Industrie (Electric Vehicle, falls Du nicht zur Abkürzungsfraktion gehörst) hat noch keinen James Watt gefunden. Niemand hat der breiten Bevölkerung erklärt, was ein E-Auto wirklich leistet – in einer Sprache, die nicht nach Diplomarbeit klingt.

Ein Pferd für Deine Gedanken?

Stell Dir vor, ein Autohersteller würde sagen: "Dieses Elektroauto spart Dir im Jahr 1’2 Tage Lebenszeit, weil Du nie mehr tanken musst." Oder: "Dieses Modell liefert den Schub von 30 Rennpferden direkt aufs Pedal." Klingt banaler als ein Torque-Diagramm, aber vermutlich erinnerst Du Dich daran eher als an eine Ladeleistung von 250 kW.

Die Zahlen: Wer kauft, wer zögert?

Die Faktenlage spricht eine klare Sprache: Im Mai 2025 wurden weltweit 1,6 Millionen Elektro- und Plug-in-Hybridfahrzeuge verkauft – ein Plus von 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In Europa wuchs der Markt sogar um 36,2 Prozent. Klingt gut? Ja. Aber: In Nordamerika nur 7,5 Prozent. Und viele davon trotz, nicht wegen überzeugender Kommunikation, sondern wegen staatlicher Subventionen, Flottenanreize und politischer Rahmenbedingungen.

BYD überholte Tesla und ist mit 16 Prozent Marktanteil weltweit Marktführer. Tesla liegt bei 14 Prozent. Doch Marktanteile allein sagen nichts über Markendurchdringung aus. Denn während Tech-Enthusiasten Teslas verstehen, steht Tante Ursula mit ihrem Diesel-Golf ratlos vor dem Supercharger und fragt sich: "Wo kommt da der Zapfhahn hin?"

Technik verkauft keine Träume

Und hier liegt das eigentliche Drama: Technik ist wunderbar. Fortschritt ist notwendig. Aber Technik verkauft keine Träume. Watt hat das vor über 200 Jahren verstanden. Er hat nicht verkauft, was seine Maschine ist, sondern was sie kann – in einem Bild, das jeder versteht.

Die Elektromobilität braucht genau das. Eine neue Einheit. Eine neue Metapher. Etwas, das aus der kWh eine Lebensqualitätseinheit macht. Denn Du kaufst kein Auto wegen seiner Zellchemie. Du kaufst es, weil es Dein Leben einfacher, besser, schneller, sauberer macht.

Wenn Werbung wirken will: Beispiele aus der Marketingwelt

Erfolgreiche Marken erzählen keine Geschichten über Technik, sondern über Nutzen. Apple verkauft keine Prozessoren, sondern Kreativität und Einfachheit. IKEA verkauft keine Möbel, sondern das Gefühl, es selbst geschafft zu haben. Und Coca-Cola? Die verkaufen keine Brause, sondern Momente des Glücks.

Warum also fällt es der EV-Branche so schwer, das Gleiche zu tun? Vielleicht, weil sie sich selbst zu sehr als Ingenieursleistung versteht. Dabei ist der Alltag der Kundinnen und Kunden kein Windkanal. Es geht um Erlebnisse, Vereinfachung, Einsparung, Status – und ja, auch um Spass.

Stell Dir einen Werbespot vor: Ein Vater kommt abends mit dem E-Auto nach Hause. Kein Benzingeruch. Kein Lärm. Während das Auto lädt, liest er seinen Kindern eine Geschichte vor. Und dann die Botschaft: "Mehr Zeit, weniger Tanken. Mehr Leben."

Ein Blick in die Zukunft: Neue Einheiten, neue Narrative

Vielleicht brauchen wir neue Begriffe. Statt PS: Alltagsvorteilseinheiten. Statt Ladeleistung: Zeit-zurück-Multiplikator. Statt Reichweite: Sorgenfreiheitsskala.

Oder stell Dir eine Kennzeichnung wie auf Lebensmitteln vor: "Dieses Fahrzeug spart Dir jährlich 480 kg CO2, 35 Stunden Zeit und CHF 950 Betriebskosten." Eine Art Energielabel 2.0 – aber für echte Menschen gemacht, nicht nur für Förderformulare.

Auch digitale Erlebnisse könnten helfen: Interaktive Rechner, die Dir zeigen, wie viele Pendlertage, Tankstopps oder Ölwechsel Du durch ein EV vermeidest. Und das alles verpackt in eine Geschichte, die sagt: Du tust etwas Gutes – und hast auch noch was davon.

Fazit: Mehr Watt-Witz bitte

Vielleicht braucht es keinen weiteren James Watt. Vielleicht reicht es, dass wir lernen, wie er zu denken. Technik für Menschen erklären, nicht für Techniker. Wer das schafft, wird nicht nur Elektroautos verkaufen, sondern eine ganze Gesellschaft elektrisieren.

Und vielleicht, nur vielleicht, sehen wir dann eines Tages auf dem Werbeplakat: "Dieses Auto hat 40 AlltagsPS. Mehr Zeit, weniger CO2, mehr Freude." Klingt simpel? Ist es auch. Aber manchmal ist genau das die grösste Genialität.

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