"Reziproke Zölle" made in USA
Von Gleichgewicht keine Spur: Wie die neuen US-Zölle unter Trump II die Idee der Reziprozität strapazieren.
Am 2. April 2025 erklärte Donald Trump, was er einen "Tag der Befreiung" nannte: Die USA erheben ab sofort sogenannte "reziproke Zölle" auf nahezu alle Importgüter. Das klingt nach Fairness. Tatsächlich könnte man fast meinen, es gehe um nichts anderes als gerechte Handelsbeziehungen. Doch wer sich die Zahlen etwas näher anschaut, merkt schnell: Trumps Vorstellung von "Reziprozität" ist eine sehr amerikanische.
Die Idee klingt simpel: Wenn ein anderes Land US-Produkte mit 20% Zoll belegt, dann schlagen die USA eben zurück und verlangen denselben Satz für deren Waren. So weit, so nachvollziehbar. Doch in der Praxis wirken die neuen Massnahmen eher wie ein Generalverdacht gegenüber der ganzen Weltwirtschaft. Vom engen Partner Australien bis zur exportstarken EU bekommen jetzt alle eine pauschale Rechnung präsentiert. Ob sie vorher eigentlich fair gespielt haben oder nicht, spielt kaum eine Rolle.
Der grosse Rundumschlag
Die neuen Zölle bestehen aus einem Grundtarif von 10% auf alle Importe, ergänzt durch länderspezifische Aufschläge. China wird insgesamt mit 34% belegt, die EU mit 20%, Japan mit 24%, Vietnam gar mit 46%. Australien kommt glimpflich davon: "Nur" 10%. Begründet wird das mit angeblich unfairen Zöllen der jeweiligen Partner auf US-Produkte. Die neue Devise: Wenn Du mir weh tust, zahl ich's Dir heim – mit Zinseszins.
Doch wie "reziprok" sind diese Zölle wirklich? Sehen wir uns einige Beispiele etwas genauer an.
Fall 1: Europa – Freundschaft mit Beilage
Die EU erhebt im Schnitt etwa 3,9% Zoll auf US-Waren. In einigen Sektoren ist das mehr – zum Beispiel bei Autos (10%) – aber im Durchschnitt sind die EU-Zölle eher tief. Die USA dagegen schlagen nun pauschal mit 20% auf alle EU-Importe zu, von italienischen Teigwaren bis zu deutschen Solarpanelen.
Trump hatte schon 2018 mit Autozöllen gedroht. Nun kommt der Tarifhammer. Ausgleich für die 10% EU-Zoll auf US-Autos? Vielleicht. Aber 20% auf alles andere? Das hat mit spiegelbildlicher Gerechtigkeit nicht mehr viel zu tun. Reziprozität ist etwas anderes.
Fall 2: China – Alte Feinde, neue Zähne
Mit China wurde die Zollspirale schon 2018 angekurbelt. Damals verhängten die USA Zölle von bis zu 25% auf chinesische Waren. China konterte mit Zöllen auf US-Produkte von durchschnittlich 21%. 2025 treibt Trump das Spiel weiter: Jetzt gelten bis zu 42% auf chinesische Exporte in die USA. Chinas Gegenmassnahmen: 22,6% im Schnitt.
Reziprozität? Wohl eher einseitige Eskalation. Die USA verlangen nun das Doppelte dessen, was China auf US-Waren erhebt. Wer sich da "befreit" fühlt, hat möglicherweise die Definition von Symmetrie neu interpretiert.
Fall 3: Japan – Der zollfreie Bösewicht
Japan hat auf US-Autos genau 0% Zoll. Die USA wollen jetzt 25% auf japanische Autos. Auch andere japanische Produkte wie Elektronik oder Maschinen sind kaum bis gar nicht mit Importzöllen belastet. Japans durchschnittlicher Zoll auf US-Waren: etwa 3,7%. Trotzdem sollen alle japanischen Exporte in die USA jetzt mit rund 24% Zoll belegt werden.
Die Ironie: Hier bestraft man einen Partner, der die eigenen Produkte kaum je teuer gemacht hat. Reziprozität? Vielleicht im Sinne von "wir machen jetzt auch mal unfair".
Fall 4: Südkorea – Freihandel? Gilt nicht mehr
Südkorea und die USA haben ein Freihandelsabkommen (KORUS). Fast alle US-Produkte kommen zollfrei ins Land. 2025 soll nun ein US-Zoll von 25% auf koreanische Waren gelten. Der durchschnittliche koreanische Zoll auf US-Waren liegt bei unter 1%.
Statt "ausgeglichen" sieht das nach einer einseitigen Strafe aus. Dass Trump dabei sogar ein bestehendes Freihandelsabkommen faktisch aushebelt, wird kaum thematisiert. Aber Hauptsache "stark auftreten".
Fall 5: Vietnam und Indien – Entwicklungsland? Nicht mit Trump
Vietnam verlangt im Schnitt rund 9,4% Zoll auf US-Waren. Die USA wollen nun 46% auf vietnamesische Produkte. Indien verlangt etwa 17% – die USA setzen 26% dagegen. Reziprok ist das nicht. Zwar sind Vietnams und Indiens Zölle durchaus hoch, aber Trumps Antwort liegt regelmässig deutlich darüber.
Im Fall Vietnam wird es fast grotesk: Einige Produkte aus den USA kommen zollfrei nach Vietnam. Trotzdem müssen vietnamesische Möbel, Textilien oder Elektronik jetzt mit 46% Zoll in die USA – ein wirtschaftlicher Keulenschlag.
Fall 6: Australien – Bestrafe Deinen Freund
Australien und die USA hatten bis 2025 ein funktionierendes Freihandelsabkommen. Zölle? Null. Doch Trump kennt keine Freunde, wenn's ums Prinzip geht. Auch australische Waren werden nun mit 10% belegt. Der neue Slogan: "America first, mate."
Australien selbst verlangt weiterhin 0% auf US-Produkte. Vielleicht, weil es weiss, dass Handelsbeziehungen auf Vertrauen beruhen. Oder weil es weiss, dass Gegenmassnahmen bei einem Riesen wie den USA wenig bringen.
Das grosse Fazit: Viel Zoll, wenig Reziprozität
Die neue Zollpolitik der USA unter Trump II verkauft sich als "wechselseitig". In Wirklichkeit ist sie in den meisten Fällen einseitig. Sie überschreitet nicht nur die Höhe der Partnerzölle, sondern ignoriert oft sogar bestehende Freihandelsabkommen.
Das Argument der "Gleichbehandlung" wird zur Fassade für protektionistische Politik. Was als Reaktion verkauft wird, ist in Wahrheit Eskalation. Die neue Zollpolitik wirkt wie ein Vorschlaghammer in einem Spiegelkabinett: Überall Scheiben, aber kaum echte Reflexion.
Ob damit das Handelsdefizit gesenkt oder die amerikanische Industrie gestärkt wird? Das wird sich zeigen. Klar ist: Die Weltwirtschaft wird nervöser, Lieferketten könnten unter Druck geraten, und Partner, die bisher offen handelten, denken jetzt über Gegenzölle nach.
Bleibt die Hoffnung, dass der Begriff "Reziprozität" irgendwann wieder das bedeutet, was er vorgibt zu sein: Gegenseitigkeit, nicht Überlegenheit. Und dass Fairness nicht mit Lautstärke verwechselt wird. In der Zwischenzeit heisst es: Zoll frei für Ironie, aber Einfuhrbeschränkung für gesunden Menschenverstand.